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Die jüdische Bildung im Nahen Osten und Nordafrika entwickelte sich über Jahrhunderte hinweg im Spannungsfeld von Tradition und Moderne. Ein frühes Beispiel ist die Gemeinde Tilline im südlichen Marokko, deren Ursprünge bis ins 11. Jahrhundert zurückreichen. Jüdische Jungen erhielten hier in traditionellen Schulen oder bei privaten Lehrern grundlegende Kenntnisse in Hebräisch, Bibel und rabbinischer Literatur, während Mädchen meist im häuslichen Rahmen unterrichtet wurden.

Im Irak entstanden im 19. und frühen 20. Jahrhundert Talmud-Tora-Schulen, die religiöse Grundbildung in arabischer Sprache vermittelten. Die 1932 gegründete Schule in Bagdad verband traditionelle Studien mit moderner Didaktik. Lehrer wie Shelomo Bekhor Hutzin (1843–1892) verkörperten die enge Verbindung von rabbinischer Gelehrsamkeit und neuen pädagogischen Ansätzen. 1940 gründete Rabbi David Ovadia (1913–2010) die Jeschiwa „Beit David“ in Sefrou, Marokko. Sie kombinierte klassische Talmud- und Halachastudien mit modernen Fächern wie Französisch und bot so eine Ausbildung, die religiöse Tiefe mit beruflichen Chancen verband.

Seit 1862 spielte die Alliance Israélite Universelle eine zentrale Rolle. Von Tétouan aus baute sie ihr Netzwerk bald auf zahlreiche Städte Nordafrikas und des Nahen Ostens aus. Ihr Ziel war es, durch moderne Bildung den sozialen Aufstieg jüdischer Gemeinden zu fördern. Ihr Curriculum umfasste Französisch, Mathematik, Naturwissenschaften, Geschichte und Geografie, während religiöse Fächer integriert blieben. Ein Novum war die Förderung der Mädchenbildung, die vielen Familien neue Perspektiven eröffnete. Die von westlichen Akteuren gestifteten Bildungsinstitute boten Zugang zu moderner Bildung, doch transportierten sie zugleich westlich geprägte Wertvorstellungen und koloniale Narrative, die traditionelle Strukturen und lokale Autoritäten in Frage stellten – eine Entwicklung, die die historische Spannung der jüdischen Gemeinschaften in arabischen Ländern zwischen Autonomie und Integration mit neuen Konflikten belud. 

Daneben traten auch missionarische Schulen auf, die mit säkularen Inhalten konkurrierten. Viele Gemeinden reagierten, indem sie ihre eigenen Bildungseinrichtungen modernisierten. Parallel dazu gewann der Zionismus an Einfluss: Ende des 19. Jahrhunderts förderten zionistische Lehrer den Unterricht in Hebräisch. Während des Zweiten Weltkriegs gründeten zionistische Soldaten der britischen Armee moderne Hebräischschulen in Ägypten, Libyen und im Irak. Ein Sonderfall ist die David-Sassoon-Bibliothek in Mumbai (1847), die sich von einer technischen Ausbildungsstätte zu einem Kulturzentrum mit internationaler Ausstrahlung entwickelte.

(Text: Marina Shcherbakova, Gregor Schwarb, Ronny Vollandt)

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